Projektskizze:
Leonce und Lena
nach Georg Büchner
"Was die Leute nicht Alles aus Langeweile treiben!"
Das Ensemble theaterboxring berlin lichtenberg setzt die theatrale Erkundung des Viktoriakiez fort. Nach "Der Sturm" von William Shakespeare und "Die Kleinbürgerhochzeit" von Bert Brecht bietet Büchners Lustspiel "Leonce und Lena", geschrieben 1836 aus Geldnot, für uns den Ausgangspunkt, auf lustvoll theatralische Weise sich der Last des Müßiggangs, der Empfindung der Leere und der inneren Sehnsucht nach dem Anderen zu nähern. Auf die Gefahr hin, am Ende als Puppen in der Mechanik des Bestehenden sich wieder zu finden.
"Leonce und Lena" folgt den Konventionen des Lustspiels seiner Zeit und stellt doch den horror vacui seiner Protagonisten in den Mittelpunkt. Gegen engstirnige Kleinstaaterei, (was keineswegs nur als spätromantische Kritik am niedergehenden deutschen Adel des 18. Jhdt zu lesen ist) erzählt das fragmentarische Stück von schmerzhaften Aufbrüchen aus monotonem Alltag, von jungen Menschen, die nichts anderes wollen als die märchenhaften Kleinstkönigreiche Pipi und Popo zu verlassen. Leonce muss der drohenden Heirat entkommen, die sein Vater angekündigt hat, mit Hilfe des im Nichtstun erfahrenen Valerio. Lena folgt der spleenigen Idee ihrer Gouvernante, den Hof zu verlassen. Unerkannt finden sie während ihrer Flucht zueinander, während zu Hause die staatliche Repräsentationsmaschine ihren sarkastischen Vollzug nimmt. Und wenn die Fliehenden schließlich, angepriesen als Wunderwerke der Mechanik, als Kopien ihrer selbst, zu ihrer eigenen Hochzeit in effigie erscheinen, gerät die Zeit aus den Fugen.
Büchners Text zeichnet sich durch einen Überreichtum an Zitaten, Wortfetzen, philosophischen Brocken, ironischer Zeitkritik und Seufzern tiefster Schwermut aus. Er sperrt seine Personage in kein psychologisches Korsett und zeichnet gerade mittels seiner Schlaglichtartigkeit in wenigen Strichen das bis heute gültige Sittengemälde einer als mechanisch empfundenen Gesellschaft.
Als zeitloses Spiel von Lust und Ablehnung wollen wir es im "Goldhelm" des Turms der ehemaligen "Knorr Bremse" - Werke ins Leben rufen, in einem Ambiente, das den Leerstand einer urbanen Utopie symbolisiert als das Überdauern einer Zeit, deren Regelwerk der Repräsentation längst überkommen scheint.
Als Spielort haben wir das ehemalige Heizhaus in der Buchberger Straße 27 gefunden, ein Industriebau nahe des Bahnbetriebshofes Lichtenberg.
"O, wer einmal jemand anders sein könnte"
Für die Initiative theaterboxring ist Büchners Text eine Herausforderung, als Ensemble von Theater- und Nichttheaterleuten die Erfahrungen aus zwei gemeinsamen erfolgreichen Inszenierungsarbeiten weiter zu treiben. Für das Publikum gibt das Inszenierungsvorhaben Gelegenheit - als sei man vorübergehend aus der Zeit gefallen - in ein groteskes Märchen einzutauchen, in dem Müßiggang und Arbeit nicht von einander unterschieden sind und dabei von unbekannter Stelle aus einen Blick auf die alltägliche Umgebung zu werfen. Wie in den vergangenen Projekten, die ebenfalls ohne Honorare für die Mitwirkenden vonstatten gingen, soll der Eintritt fürs Publikum frei bleiben und auf Spendenbasis Geld gesammelt werden.
[november 2009, geändert August 2010]